Cristiana Fliri
Cristiana Fliri hatte den Jugendtraum, irgendwann einmal ein eigenes kleines Geschäft zu führen. Als gelernte Buchhändlerin eröffnete sie dann im Sommer 1995 mit Anni Hüberli die Buchhandlung Chantunet da cudeschs. Die letzten sieben Jahre führte sie diese mit viel Engagement und Verve alleine weiter. Michael Guggenheimer bezeichnete die Buchhandlung einmal als Wissenstankstelle, die Schriftstellerin Angelika Overath gar als magischen Ort. Das sind starke Worte.
Vor etwas mehr als zwei Jahren hat sich Cristiana Fliri entschieden, den Buchladen abzugeben und sich neuen Themen zu widmen. Im März 2021 war es so weit und Cristiana Fliri ist glücklich, das Geschick des Hauses in neue Hände zu übergeben.
Wir wollten es etwas genauer wissen:
Welche drei Eigenschaften aus den eingangs erwähnten Tätigkeiten zeichnen dich besonders aus, Cristiana?
Diskutieren – Lesen – Zuhören
Was hast du jetzt vor, wie sieht deine Zukunft aus?
Ich freue mich. Ich werde mit meinen sieben Enkeln viel erleben und entdecken. Sportmässig Weitwandern, Bergwandern und Schneeschuhtouren machen. Und ganz allgemein loslassen, pausieren, erholen und dann … Wer weiss?
Was wirst du lesen, da du dich nun nicht mehr zwingend mit Neuerscheinungen beschäftigen musst?
In nächster Zeit werde ich sicher nicht sehr viel lesen. Später dann wohl Klassiker, die ich vor über vierzig Jahren gelesen habe. Und auch neue Belletristik der Autorinnen Melitta Breznik, Romana Ganzoni, Monika Helfer, von Marco Balzano und weiteren.
Was denkst du, wie es um die Zukunft des Buchhandels bestellt ist?
Nischenbuchläden mit guter Beratung werden weiterhin eine Chance haben. Daneben sind Veranstaltungen und Lesungen mit Büchertischen im Trend. Das Buch als Kulturgut war und ist gefragt wie beliebt.
Magst du uns Anekdoten aus deiner Zeit erzählen?
Den Namen der Buchhandlung interpretierten viele frei: So wurde ich zum Beispiel als Frau Chantun, Chantunella, Chantunet da cudaschets angesprochen …
Ein Künstler wollte unbedingt das Bilderbuch von Carigiet kaufen, das eigentlich schon seit langer Zeit im Bücherkasten lag und von der Sonne völlig ausgebleicht war. Das sei so einmalig, meinte er ...
Ein Herr aus Olten mit einem arabisch klingenden Namen bestellte explizit sechs bis sieben Kinderbücher nach meiner Wahl, um Vallader zu lernen.
Zwei Personen beschenkten einen Gast, der im Januar 1997 im Hotel Belvair wohnte, mit einem ungewöhnlichen schriftlichen Orientierungslauf durch Scuol, der am Ende zur Buchhandlung führte. Und dort konnte er sein Geburtstagsgeschenk abholen. Den Brief mit den Anweisungen überreichten sie auch mir – was mich amüsierte wie auch rührte. Der vollständige Text kann hier eingesehen werden.
Wenn du den Wunsch frei hättest, jemanden zu treffen: Welche Autorin oder welcher Autor wäre es und warum?
Den verstorbenen Autor Oscar Peer hätte ich gerne getroffen. Seine letzte Lesung musste er krankheitshalber absagen. Ich hätte mich sehr gerne noch mit ihm auf romanisch unterhalten und mehr aus seinem Leben als Schriftsteller erfahren.
Was ist aus deiner Sicht das Besondere am Engadin, dass hier so viele Autorinnen und Autoren heimisch geworden sind?
Die faszinierende Natur, die kraftvolle Gegend, die Vielfalt, die Menschen, die schönen Dörfer, die Inspiration, die vielen Kulturangebote und vieles mehr …
Welches ist dein Lieblingsort hier in der Umgebung von Scuol?
Das verrate ich nicht. Aber das herrliche Panorama vom Crap Putèr oder vom Piz Clünas möchte ich noch oft geniessen können.
Was wird wohl die grösste Herausforderung sein für deine Nachfolgerin?
Schwer zu sagen. Vielleicht, die romanische Sprache und die regionalen Gegebenheiten zu verstehen.
Welches Buch sollten wir aktuell unbedingt lesen?
«Die Pest» von Albert Camus: Es wurde vor fast achtzig Jahren geschrieben und ist heute mit Corona sehr aktuell. Es ist spannend, ein beeindruckendes Buch. Mein zweiter Tipp ist, für alle, die romanisch sprechen, «Verd s-chür» von Rut Plouda. Das sind kurze, tiefsinnige, schöne und poetische Texte.
Verd s-chür (Dunkelgrün)
Rut Plouda
Rut Plouda
Verd s-chür (Dunkelgrün)
Prosa curta, Rumantsch vallader
105 Seiten, gebundene Ausgabe
Chasa Editura Rumantscha
CHF 26.–
ISBN 978-3-03845-073-3