Christian Haller

Geboren wurde ich in einem ungeheizten Kreissaal im Februar 1943. Ich quälte mich als Legastheniker durch die Schule und schützte mich durch archäologisches Forschen vor der Gegenwart. Wollte Schauspieler werden, besuchte deshalb das Lehrerseminar, an dessen Ende ich mich entschloss, Schriftsteller zu werden. Wohnte in Dachkammern und beschäftigte mich ausgibig mit dem Philosophen und Dichter Adrien Turel, schrieb Gedichte und Erzählungen und beschloss Biologie zu studieren. Nach Abschluss war ich acht Jahre am Gottlieb Duttweiler-Institut als Leiter der «Sozialen Studien» tätig, war kurze Zeit Dramaturg am Theater Claque in Baden und arbeitete danach freiberuflich als Dramaturg. Seit 1985 bin ich freier Schriftsteller.

Welche der drei oben genannten Tätigkeiten zeichnen Sie aus?
Forschen, schreiben, zuhören.
Schon als Zehnjähriger begann ich zu forschen, entdeckte archäologische Fundstellen und wurde das jüngste Mitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Urgeschichte.
War Schreiben für mich anfänglich eine Qual, so ist es doch seit sechzig Jahren zu dem geworden, was ich täglich tue. Ich lebe in Wörtern und fühle mich zwischen Zeilen wohl.
Zuhören ist die Tür zur Seele eines anderen Menschen. Nicht nur, was er erzählt, sondern wie er es erzählt, welche Wörter und Wendungen er braucht, erzählen neben der erzählten Geschichte eine noch weitere Geschichte.

Geistes- oder Naturwissenschaften?
Ein Unterscheidung, die im 19. Jahrhundert getroffen worden ist und auch dorthin gehört. Sie ist antiquiert.

Ihre liebste Tages- und Jahreszeit? Wo?
Der Morgen, im Sommer, in meiner Schreibstube. Und manchmal am Meer.

Was macht sie glücklich? Was wütend?
Glücklich macht mich eine neue Erkenntnis und wütend die Dummheit von Politikern, die ideologisch verblendet, zu immer neuem Unheil anstiften.

Eine Sucht, zu der Sie stehen können?
Beobachten, kann leicht in ein unanständiges Starren ausarten: Mimik, Gestik, Körperhaltung sind für mich wie Texte, die ich lesen kann.

Ihre liebsten Romanhelden und -heldinnen?
Ausser bei Homer bitte keine Helden. Und auch keine Heldinnen. Sie langweilen mich.

Welche Erfindung ist für Sie die bedeutendste?
Die Schrift, die den Klang der flüchtigen Stimme bewahren kann. Grossartig und vollkommen untauglich, um die Erkenntnisse der modernen Physik festzuhalten.

In welchem anderen Jahrhundert hätten Sie gerne gelebt?
Im 10. Jahrhundert, befreundet mit Sei Shonagon, in Japan.

Etwas, was Ihnen am Herzen liegt?
Das Erinnern. Es ist ein ganz privates Museum, mit verschiedenen Sälen auf verschiedenen Etagen, reich an Bildern, Begegnungen, Geschehnissen, durch das ich spazieren kann: da mal lächelnd stehen bleibe, dort mal etwas beschämt den Schritt beschleunige.

Welches Buch müssen wir aktuell lesen?
Die bei Diogenes erschienene Werkausgabe von Jeremias Gotthelf. Das beste Heilmittel gegen Heimattümelei und Patriotismus.

 

Jeremias Gotthelf
Die schwarze Spinne
aus der Reihe «Gotthelf Zürcher Ausgabe»
560 Seiten, Softcover
Diogenes
Fr. 42.00
ISBN 978-3-257-07252-5

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